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Verfassung verstehen

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»Die Würde des Menschen ist unantastbar.«

Als die Mütter und Väter des Grundgesetzes diesen Satz 1948/49 formulierten, lagen hinter ihnen Jahre der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Krieges. Sie gaben sich eine Verfassung, die nicht nur einen radikalen Neuanfang bedeutete, sondern auch bald schon zum Vorbild für andere Verfassungen wurde, ein innovativer Exportschlager.
 
Heute, über 60 Jahre später, sind uns diese Werte in Fleisch und Blut über gegangen und so selbstverständlich, dass wir vergessen haben, wie sehr uns Menschen in China, Syrien, Nordkorea und anderen Ländern um diese freiheitlich demokratische Grundordnung beneiden.

»Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich« Wir kennen die Sätze und doch schlummert der Text der deutschen Verfassung bei Nicht-Juristen bestenfalls im Kellerregal bei den Schulbüchern zur Sozialkunde. Gesetzestexte sind üblicherweise nicht so gestaltet, dass man sie freiwillig liest. Das muss nicht so sein, dachte sich Mike Hofmaier und übersetzte das Grundgesetz in aktuelle Infografiken.
 
Wie kam es, dass Du Dich für Deine Diplomarbeit mit der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz, auseinander gesetzt hast?
Die deutsche Politik habe ich als nie sonderlich spannend empfunden. Damit stehe ich vermutlich nicht allein da. Jedes aufkeimende politische Interesse wird im Frühstadium durch tagespolitisches Geplänkel abgestumpft und von inhaltlosen Phrasen betäubt. Selten wird dabei der größere Zusammenhang thematisiert. Die Chance, mich ein halbes Jahr mit dem zu beschäftigen, was unserere Gesellschaft zusammenhält, wollte ich mir nicht entgehen lassen. 

Die Themenrecherche war auch eine Suche nach der Identität einer Nation, die sich nach dem Krieg neu erfinden musste. Als Deutsche scheuen wir oft den Blick zurück, weil wir unweigerlich an die dunklen Kapitel unserer Geschichte erinnert werden. Dabei übersieht man aber auch, mit welcher Überzeugung und Klarheit 1949 eine Verfassung für eine neue westdeutsche Nation entworfen wurde. Das Grundgesetz (kurz: GG), das deutsche Verfassungsdokument, ist so etwas wie der Quellcode der erfolgreichen, deutschen Nachkriegsgeschichte. Es ist präzise, kompakt, aber unsichtbar, und wird selten öffentlich geschätzt.
 
Während sich andere Länder im Umbruch befinden und neue Verfassungen hervorbringen, befinden wir uns seit langem in einer vergleichsweise stabilen politischen Lage. Auch deshalb ist den meisten von uns, den 82.000.000 Adressaten des Grundgesetzes, seine Existenz kaum bewußt. Noch im Jahr 2011, zu Beginn meiner Recherche, erhielt die deutsche Verfassung auf facebook gerade mal EINEN „like“. Diesen einen Nutzer, der so mutig war, als Einziger die Verfassung zu liken, habe ich direkt mal angeschrieben. Er war leicht schockiert, wer ihn da versucht auszuhorchen.

Schließlich hat sich daraus aber ein interessantes Gespräch ergeben, das mich in meiner Themenwahl bestärkt hat. Das war ein Effekt, den ich auch nach Fertigstellung des Buches oft beobachten konnte. Viele Menschen schien das Thema zu beschäftigen. Die überraschende Visualisierung des Grundgesetzes öffnete Türen. Daraus ergaben sich unmittelbar Gespräche und Diskussionen. Für mich war das die Bestätigung, an der richtigen Stelle angesetzt zu haben.
 
Das Thema „Grundgesetz“ hat aus gestalterischer Sicht einen Vor- und einen Nachteil. Der Nachteil ist, dass das Thema grafisch noch kaum bearbeitet wurde, weshalb es kaum gestalterische Vorbilder gibt. Der Vorteil ist, dass man seinen Ideen uneingeschränkt nachgehen kann. Stellt man es richtig an, kann man das Thema selbst gestalterisch besetzten und damit im besten Fall selbst zum Maßstab werden. 

Die Chance des Themas ist seine scheinbare Zurückhaltung und gleichzeitig große gesellschaftliche Bedeutung. Darauf aufbauend lässt sich ein starkes inhaltliches Gerüst entwickeln, wodurch sich die Gestaltung erst voll entfalten kann. Sich dem Thema als juristischer Laie, aber als visueller Gestalter zu nähern, war kein Nachteil. Dadurch ergaben sich große Freiheiten, die ich spielerisch nutzen konnte.
 
Mit welchen Arbeitsschritten hast Du die meiste Zeit verbracht (z.B. Recherche, Layout, Illustration etc.)? Was war am schwierigsten?
Der Anfang und das Ende bereiteten die größten Schwierigkeiten. Alles dazwischen war ein einziges Abenteuer. Ganz zu Beginn des Diplomsemesters schien das Thema bereits an seinem Ende angekommen zu sein. Die inhaltliche Recherche erwies sich als enorme Hürde, und die Kompaktheit des Gesetzestextes machte es kaum zugänglicher. Erst mithilfe der richtigen externen Quellen fand ich zunehmend Ansatzmöglichkeiten. Ich näherte mich dem GG über seine äußere Erscheinung an: über die Einteilung in die einzelnen Kataloge und Artikel, über die Veränderungen im Laufe der Jahrzehnte und der wortgenauen Einteilung unserer Grundrechte.
 
Ab einem gewissen Punkt der Recherche und Analyse lief das Projekt wie von selbst. Es war keine Arbeit mehr, sondern vielmehr eine Expedition, die unglaublich erlebnis- und erkenntnisreich war. Die Visualisierungen sind vielmehr Skizzen dieser Reise. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind vielleicht mein größter persönlicher Gewinn. Diesen möchte ich in dem Buch gerne mit anderen teilen. 

Das letzte Nadelöhr war die Produktion. Ich legte großen Wert auf ein stimmiges, historisches Gesamtbild, angefangen bei der Wahl der Schrift, den Farben und des Papieres. Ich bangte nocheinmal, ob die Umsetzung meinen Vorstellungen entsprechen würde. Letztenendes wurde die Qualität des Drucks und die Bindung von allen Seiten gelobt.
 
Deine Arbeit wurde nun als Buch beim Verlag Hermann Schmidt Mainz veröffentlicht. Wurde dabei viel editiert oder was hat sich geändert in Hinblick auf Deine ursprüngliche Arbeit?
Kaum etwas. Zumindest nichts, was man auf Anhieb sehen würde. Was mich besonders freut, ist, dass der Einband jetzt ein bedrucktes Leinen erhalten hat, das ich mir von Anfang an gewünscht hatte. Gestalterisch hat das Buch bereits seine Lorbeeren geerntet, jetzt möchte ich behaupten, dass es inhaltlich einen Schritt nach vorne gemacht hat. Die Texte wurden gestrafft und die Quellen und Daten auf den neuesten Stand von 2013 gebracht. Wir haben hart daran gearbeitet, daß „Verfassung verstehen“ ein Buch wird, das gestalterisch überzeugt, aber auch der Verantwortung gegenüber dem bedeutenden Thema „Grundgesetz“ gerecht wird. Ich denke, daß uns das gelungen ist.
 
Verfassung verstehen – Das Grundgesetz in Infografiken
Eine visuelle Analyse der deutschen Verfassung

Autor: Mike Hofmaier
Verlag: Hermann Schmidt Mainz

Veröffentlichung: Mai 2013
Umfang: 72 Seiten mit Infografiken, Gegenüberstellungen, Diagrammen und Abbildungen
Format 24 x 30 cm
fadengehefteter Leinenband
ISBN: 978-3-87439-846-6
Preis: 39,80 EUR

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