Der Berg ruft – Die erste Ausgabe der Direttissima
Was haben Schnitzel und bestimmte Sexualpraktiken mit Coworking, Plagiatoren und Snapchat zu tun? Auf den ersten Blick zunächst nicht allzu viel. Die Programmplaner der Premieren-Ausgabe der Direttissima The Conference– der neuen Medien- und Verlagskonferenz am 22. April in der Alten Messehalle in München – ließen sich davon jedoch nicht abhalten, warfen diese illustre Themen in einen Topf und sorgten so im Vorfeld für eine gewisse Spannung. Die Organisatoren um Initiator und Agenturgründer Felix Wegener wollten auf ihrer „DICO“ ganz bewusst verschiedene Branche zusammenführen und in einen Austausch bringen. Motto des Tages war dementsprechend „Transfer it“; insgesamt 17 Vorträge und Diskussionsrunden sollten dabei die berühmte eigene Filterblase durchbrechen und neue Einblicke zulassen. Dass es an diesem Tag nicht nur um die schönen Seiten des Arbeitens im Bereich Medien und Verlage gehen sollte, verkündete bereits der Titel. Der Begriff „Direttissima“ steht unter Alpinisten nicht für den einfachsten Aufstieg zum Berggipfel, sondern für den senkrechten, in der Regel schwereren.
Den Vortragsauftakt machte der Kunsthistoriker und Gründer der Kulturkonsorten Christoph Gries, der einen Überblick über die erstaunlich weit fortgeschrittenen Digitalisierungsstrategien internationaler Museen gab. In eine ganz andere Richtung führte Eric Jarosinski – besser bekannt unter seinem Synonym NineQuarterly – die Konferenzbesucher in die Abgründe seiner philosophischen Twitter-Welt. SZ-Vertreter Dirk von Gehlen nahm sich das Emoticon Shruggy zum Anlass, das Gefühl der Ratlosigkeit von seinen negativen Fesseln zu lösen und für eine offene, fragende Haltung hinsichtlich des digitalen Wandels zu plädieren.
Nach Richard Gutjahrs euphorischem Beitrag über das Social Media-Phänomen Snapchat, dessen einzige Botschaft jedoch nur der Aufruf zur Nutzung der Plattform war, wurde es richtig interessant. So ging es in einer Podiumsdiskussion und im Vortrag von Tobias Schwarz um die Zukunft des Arbeitens. Schwarz sah im Coworking das Modell der Zukunft für die Medienarbeitswelt – mit weitreichenden Folgen für etablierte Strukturen der Mitarbeiterrekrutierung und des Arbeitens. Etwas überspitzt ausgedrückt: Wer braucht schon einen Verlag, wenn ich alle Freelancer im Coworking-Space habe? Die Umsetzung dieser Idee wäre sicherlich mal ein interessanter Versuch; ob die Komplexität der Erstellung gewisser Medienprodukte dabei berücksichtigt ist, ließe sich an dieser Stelle dann überprüfen.
Die Bandbreite der Themen der Speakerinnen und Speaker wurde auch im Folgenden deutlich, als der ehemalige Fußballbundesligaprofi Ralph Gunesch kuriose Beispiele der Social Media-Nutzung von Profisportlern vorstellte. Chancen und Risiken – so wurde schnell deutlich – liegen hier sehr dicht beieinander. So wie es in diesem Beitrag im weiteren Sinne um das kreieren von Sportlern als Marke ging, folgte Bloggerin Theresa Lachner (Lustprinzip) – Vortragstitel „Schnitzel oder Blowjob?“ – der Frage, ob Emotional Branding mehr als nur eine Lebensphilosophie sein kann. Programmiererin und Hackerin Fiona Krakenbürger stellte dagegen ein technischeres Thema in den Mittelpunkt: die Geschlechterverteilung in der IT-Branche. Spannend waren die möglichen Erklärungsansätze, warum heute die Anzahl der Programmierinnen so gering ist. Absolut hörenswert war auch die Augsburger Unternehmerin Sina Trinkwalder, die von ihren eigenen Erfahrungen mit Plagiaten und deren möglichen unschönen Folgen (Shitstorm!) berichtete.
Ein kleines Fazit: Den Organisatoren der Direttissima ist es gelungen, aus dem Stand eine professionelle, persönliche und thematisch breite Konferenz ins Leben zu rufen. Der gewählte Veranstaltungsort Alte Messehalle kam hinsichtlich der Größe und Atmosphäre dem Konzept der Initiatoren entgegen, gerade den Austausch der Konferenzbesucherinnen und -besucher untereinander zu fördern. Dass dabei das Rad nicht neu erfunden werden konnte, ist natürlich klar. Vortragende wie Eric Jarosinski und Buchbranchennetzwerker Leander Wattig sind durch ihre Vorträge innerhalb der Branche bereits hinlänglich bekannt, aufgrund ihrer Namen sind sie aber wohl die „Zugpferde“ einer solchen Veranstaltung. Doch gerade in der Nische zeigte die Direttissima eine spannende thematische Bandbreite mit unbekannteren Gesichtern. Damit hat die Konferenz auf jeden Fall eine Berechtigung innerhalb der Medien- und Verlagsbranche. Vielleicht sollte man bei möglichen zukünftigen Ausgaben bewusst auf diese Stärke fokussieren, die „handfesteren“ Themen in die Mittelpunkt stellen und die Vortragenden zu noch mehr „Transfer“ animieren. Insgesamt gesehen ist der Direttissima die Direttissima aber durchaus erstaunlich leichtfüßig gelungen.