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Awesome – The Netherlands

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Nachwort aus dem Buch Awesome – The Netherlands
von Christina Hünsche

Fantastisch, toll, stark, affengeil, spitze, super, ehrfurchtgebietend.

Oder einfach: awesome – ein Modewort, das aus dem amerikanischen im deutschen Wortschatz gelandet ist. Sein Gebrauch, um etwas als überdurchschnittlich zu bewerten, zeugt vom Drang, sich freizukämpfen vom Mittelmaß, einzigartig zu sein. Seine übertrieben häufige Verwendung erreicht genau das Gegenteil.

Das ist der Reflexionsrahmen, der dem Fotoband seinen Titel gibt: Awesome – The Netherlands. Die Fotografen Antje Schaper und Paul Altmann gewähren einen Blick auf die Niederlande, wie beide sie während einer Reise erlebt haben. Markig behauptet der Titel, unter dem sich die Fotografien versammeln, dass die Niederlande extravagant und besonders seien. Das schürt Erwartungen beim Betrachter und suggeriert eine Vorabbewertung des fotografierten Objekts. Der Titel gibt die Richtung auf das Gezeigte vor. So scheint es. Dem widersetzen sich die Fotografien.
Sie unterminieren die Erwartungshaltung des Betrachters.

Mit dem Fahrrad haben Antje Schaper und Paul Altmann die Niederlande bereist. Nicht, um ein Klischee über die Niederlande zu reproduzieren, sondern um auf möglichst entschleunigte Weise das Land, seine Leute, seine Facetten in den Blick zu nehmen. Ausgestattet mit nur einer Kamera und einem 50mm-Objektiv, verweigern die Fotografen dem Betrachter eine wichtige Wertungsinstanz, indem sie ihm die Auskunft über die Autor-
schaft des jeweiligen Bildes vorenthalten und es zwischen zwei möglichen Autoren schweben lassen. Entschleunigt und gewissermaßen anonymisiert, sind auf der Route von Amsterdam, nach Haarlem, Zandvoort, Noordwiijk, Katwijk, Den Haag, Monster, Vlaardingen und Rotterdam Fotografien entstanden, die den deutschen Nachbarn ungeschönt zeigen. Situativ, zufällig und augenblicksaffin erweisen sich die Bilder als dem Genre der Straßenfotografie verpflichtet. Durch die teils paarweise Anordnung entstehen Kompositionen, in denen zwei Bilder aufeinander aufmerksam machen, ein Bild die Details und das Besondere des gegenüberstehenden betont oder es sogar erst hervorbringt. Ausschnitthaft entziehen diese Bildkompositionen das Gezeigte der vorschnellen Bewertung, awesome zu sein. Die Bilder lassen ihre Bezeichnung als awesome ins Leere laufen, demaskieren sie als Floskel, deren Konstrukt, wie viele der uns suggerierten Versprechen in Politik, Werbung oder privatem Leben, in sich zusammenf ällt.

Ihre Kompilation mit Texten, von denen unklar bleibt, ob sie an den Bildern entlang oder an ihnen vorbei geschrieben wurden, verstärkt diesen Eindruck nur noch. Die Texte verweisen darauf, dass das Ansehen des Fotos als dokumentarisches Bild par excellence keineswegs obsolet ist. Das erreichen sie, indem sie sich auf fraglich bleibende Weise zu den Bildern ins Verhältnis setzen. Die Texte weisen den Betrachter darauf hin, dass sein Blick auf die Bilder nur eine Blickoption ist. Diese kann, muss aber nicht, mit anderen Perspektiven – auch jener der Fotografen – übereinstimmen. Die Intention der Fotografen ist durch die Bilder allein nicht erschließbar. Hier zeigt sich, dass die Texte den Blick des Betrachters lenken. Durch ihren nicht feststellbaren Bezug auf das Bildmaterial fordern sie zwar dazu auf, ihre Blickmanipulation stets mitzubedenken, geben sie zugleich aber nicht restlos preis. Diese Art der Text-Bild-Beziehung beginnt schon beim zweiten Teil des Titels – The Netherlands.

Der Titel Awesome – The Netherlands ist letztlich eine allein mittels der Bilder nicht überprüfbare Aufforderung an den Betrachter, die Bilder als in den Niederlanden aufgenommene zu rezipieren. Er beharrt darauf, durch die Bilder beglaubigt zu werden. Tatsächlich aber wird er im Zerlegen aller Einzelteile dieses Bands nichts anderes bleiben als eine Aufforderung, die sich den Charakter einer Behauptung bewahrt. 

Kurzinfo
Antje Schaper/Paul Altmann (Fotografie & Buchkonzept)
Texte von Anna Schöning, Tobias Rentzsch, Gerald Ridder,
Christina Hünsche und Sebastian Kiss
Gestaltung: Schaper/Altmann
2012 | Hardcover | 15,2 x 10,4 cm | 208 Seiten | 67 Abbildungen
deutsch/englisch | Auflage: 120 | Preis: € 40

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