Fremddesign – Kreativität und Design auf der anderen Seite der Erde
Vom 2. Januar bis zum 12. Mai dieses Jahres hat sich Sergio Ingravalle auf eine Reise von Sydney bis nach Peking begeben, um Antworten auf Fragen zu finden, wie: »Was lassen sich Menschen einfallen, um zu leben und zu überleben? Wie sieht das ›Heim‹ auf der anderen Seite der Erde aus? Wie arbeiten Designer, Künstler und Werber in weit entfernten Kulturen?«.
Er hat intensiv die Menschen beobachtet und befragt, Orte fernab der touristischen Ziele besucht, sowie über 25 professionelle Designer und Künstler vor Ort getroffen. Dabei hat Sergio Ingravalle die skurrilsten und kreativsten Lösungen für fremde Probleme gesehen und fotografisch festgehalten. Während der Reise arbeitete er an dem Buch: »Fremddesign« – eine Reportage über Design, Kunst und Kreativität auf der anderen Seite der Erde.
Nun ist das Projekt abgeschlossen. Nach seiner Reise hat Sergio Ingravalle die umfangreiche Recherche in seiner Diplomarbeit an der FH-Düsseldorf (Kommunikationsdesign) in Buchform zusammengefasst. Das Buch hat einen Umfang von 500 Seiten mit über 1000 Fotografien, Artikeln und Notizen. Diese Reise war die Basis für den Blog fremddesign.de, auf dem man »die kreativsten Highlights der Reise« regelmäßig nachlesen kann. Über die Entstehung seiner Idee und noch mehr erzählt er uns in einem Interview.
Was hat dich dazu angeregt, dich intensiv mit diesem Thema zu befassen? Wie entstand die Idee für deine Diplomarbeit?
Schon zu Beginn meines Studiums an der FH-Düsseldorf im Jahr 2006 stand für mich fest, dass ich es mit einem längeren Auslandsaufenthalt in Form eines Auslandssemesters oder Exkursion beenden möchte. Nach einer mehrwöchigen Reise an die Westküste der USA im Jahr 2005 und dem studienbedingten Umzug von Bielefeld nach Düsseldorf ist mir bewusst geworden, wie wertvoll und inspirierend ein Perspektivwechsel ist. Man lernt interessante Menschen kennen, bekommt neue Einblicke und sieht mit einem frischen und gespitzten Blick auch kleinste Details. Ich bin daher überzeugt, dass ein Perspektivwechsel einen enormen Einfluss auf die eigene Kreativität hat. Hinzu kommt, dass ich die Förderung des kulturellen Austauschs gerade in unserer multikulturellen Generation für besonders wichtig halte. In Zeiten der Globalisierung ist ein größeres Verständnis für neue und andere Denkweisen meiner Meinung nach ein großer Vorteil und auch in beruflicher Hinsicht unerlässlich.
Dass ich die Reise mit dem Diplom verbunden habe, hat sich im Laufe des Studiums wie Puzzleteile zusammengefügt. Mir war schnell klar, dass ich nicht nur »der Reise wegen« aufgebrochen bin, sondern auch, um den beruflichen Horizont zu erweitern. Ich wollte kreative Menschen treffen, ihre Geschichten hören und Arbeitsweisen kennenlernen. Hinzu kam, dass ich die gewonnen Erkenntnisse und Beobachtungen mit anderen Menschen teilen wollte. So entstand die Idee, die Reise in Form einer Designreportage mit dem Diplom zu verbinden.
Warum hast du ausgerechnet diese fünf Länder (Australien, Singapur, Malaysia, Thailand und China) ausgewählt?
Ich dachte mir: Wenn ich schon diesen Schritt wage, dann will ich auch den Kulturschock erleben, von dem viele Menschen berichten. Dazu muss ich sagen, dass sich die Reise von Hongkong bis Peking erst spät ergeben hat. Nach dem Aufenthalt in Bangkok hatte ich ursprünglich Flüge nach Tokio und anschliessend nach Syrien und in den Libanon gebucht. Durch die Ereignisse in Fukushima und Syrien entschloss ich mich für die Änderung und reiste durch China.
Gründe für diese Route gab es viele: Nachdem ich im Studium viele Einblicke in etablierte Designkulturen (wie z.B. in die deutsche, die englische oder skandinavische) erhalten habe, war es mein Wunsch bisher fremdes Designterritorium zu betreten. Ich hatte zuvor zum Beispiel noch nie Kontakt zu der thailändischen oder malaiischen Designszene. Auch die Recherche im Vorfeld erwies sich als schwierig, weswegen ich vermutete, dass authentische Einblicke in sehr fremde Kulturen die Menschen in Deutschland ebenso interessant finden könnten wie ich. So bot sich die Möglichkeit den interkulturellen Austausch mit Hilfe eines kreativen und gestalterischen Kontexts fördern zu können.
Eine weitere Motivation lag in der Überwindung meiner persönlichen Grenzen. Ich wollte wissen, wie ich mich in Orten zurechtfinde, in denen ich weder Sprache, Zeichen und Sitten kenne. Die möglichen Ziele waren alle sehr reizvoll. Irgendwann habe ich mich festgelegt und einfach auf »Buchen« geklickt.
Inwieweit hat dich diese viereinhalbmonatige Reise inspiriert und auf welcher Art und Weise beeinflusst (auch zukünftig)?
In dem Studium habe ich stets versucht meine persönlichen Wunschprojekte über die angebotenen Kurse hinaus zu realisieren. Die FH-Düsseldorf steht dieser Art von Eigeninitiative besonders offen gegenüber, was mich ermutigte ein Diplom zu wagen, das mit vielen Risiken verbunden und nur begrenzt plan- oder strukturierbar war. Schließlich befand ich mich noch wenige Wochen vor dem Abgabetermin auf Reisen und arbeitete bereits intensiv an dem Buch. Besondere Unterstützung habe ich vor und während der Reise von meinen Diplombetreuern Prof. Ulf Rungenhagen und Heiko Schulz erhalten. Dass das ganze Projekt am Ende reibungslos und erfolgreich abgeschlossen wurde, bestärkt mich und gibt mir den nötigen Antrieb, diesen Weg auch nach dem Studium in der Selbstständigkeit fortzusetzen.
Inspirationen gibt es auf derartigen Reisen in jeder Art: Ob Formen, Farben, Gerüche, Menschen, Infrastruktur, Schilder, Schriftzeichen, Logos, Verpackungen …
Die gewonnenen Erfahrungen und Erlebnisse dieser Reise werden auch zukünftig eine wichtige Inspirationsquelle für die nächsten Projekte sein, das wird sich wohl in den nächsten Projekte zeigen. Alles, was mich in irgendeiner Form angesprochen und interessiert hat, habe ich durch dokumentarische Notizen und auf über 7000 Fotografien festgehalten. Das Buch ist das Resultat einer strengen Selektion des gesammelten Materials.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich einige Dinge motivierter, unverkrampfter und etwas gelassener angehe. In vielen bereisten Ländern ist die Armut hautnah zu spüren. Nach der Rückkehr habe ich gelernt Selbstverständliches mehr zu schätzen und habe nun den Wunsch die hier gebotenen Möglichkeiten besser zu nutzen.
Du hast während deinem Auslandsaufenthalt diverse Agenturen aus Bangkok, Chiang Mai, Kuala Lumpur, Singapore interviewt. Nach welchen Kriterien hast du diese ausgesucht?
Der Begriff »Fremdheit« spielte hier eine große Rolle. Ich wollte nicht nur meine eigenen Interessen, wie Illustration und Editorial Design berücksichtigen, sondern so viele Bereiche wie möglich aufzeigen. So hatte ich zum Beispiel die Möglichkeit Wayne Haag, den Hintergrundmaler für Hollywood Klassiker wie »Das 5. Element« oder »Der Herr der Ringe« in Sydney zu besuchen. Propaganda in Bangkok kreiert hingegen humorvolle Produkte und Gimmicks und ist mittlerweile auch in Europa erfolgreich.
Die konkrete Auswahl der Interviewpartner war Teil des Prozesses. Während es zu Beginn in Australien etwas schleppend und schwieriger voranging, musste ich zum Ende hin sogar möglichen Interessenten absagen. Je mehr Leute ich kennenlernte, umso mehr wurde ich weiterempfohlen. Ein spannend zu erlebender Schneeballeffekt.
Wie unterscheidet sich deiner Ansicht nach die Kreativität und die Lebensgestaltung in den Ländern »auf der anderen Seite der Erde« im Vergleich zu Deutschland? Spielt die Kultur und die Tradition eine sehr große Rolle dabei?
Der Satz »Not macht erfinderisch« ist mir bei meinen Beobachtungen oft durch den Kopf geschossen. Probleme, die mir fremd waren, wurden mit den einfachsten Mitteln gelöst. In den touristenlosen Dörfern Chinas fertigen die Bauern z.B. maßgeschneiderte, handgemachte Holzlatten an, um die Ernte auf ihren Schultern transportieren zu können. In einem Fischerdorf in Thailand hingegen erleichtern sich die Arbeiter ihren Alltag, indem sie aus alten Straßenschildern kleine Tische bauen, an denen sie gemeinsam ihre Mittagspause verbringen. In Tasmanien wiederum habe ich keinen einzigen Briefkasten gesehen, der unseren in Deutschland ähnelt. Skurril wirkende Skulpturen aus alten Fässern, Kanistern und Dosen schmücken die Landstraßen. Ein Mann der seit 30 Jahren seinen Lebensunterhalt dadurch verdient, indem er Schuhsohlen am Straßenrand in Bangkok verkauft weiß genau, wie er seinen Stand gestalten muss, um seinen Umsatz zu steigern. Das Beobachten dieser Art der Gestaltung war besonders beeindruckend, da sie ursprünglich und existenziell ist.
Aus diesem Grund ist das Buch auch zweigeteilt: Der erste Teil »Fremdleben« befasst sich mit Kreativität im Sinne von »ursprünglich«; bezogen auf die Art und Weise wie Menschen ihr Leben und ihre Umwelt (oft unbewusst) gestalten. Der zweite Teil »Fremddesign« legt den Fokus auf den Beruf des Gestalters und veranschaulicht, wie und wo professionelle Designer, Künstler, Illustratoren und Werber bewusst arbeiten und sich inspirieren lassen.
Es gibt meiner Meinung nach keine Unterschiede in der Kreativität. Einzig die unterschiedlichen Umstände veranlassen die Menschen dazu Maßnahmen zu entwickeln, die mir oder uns fremd erscheinen. Auch aus professionell-beruflicher Sicht war es schön und beruhigend zu beobachten, dass trotz kultureller und regionaler Unterschiede jeder Gestalter vor dem gleichen leeren Papier sitzt und grübelt.
FREMDDESIGN
Eine Reportage von Sergio Ingravalle
Gestaltung, Konzept, Fotos und Text: Sergio Ingravalle
Format: 18 x 24 cm
Umfang: 500 Seiten
Inhalt: ca. 1000 Fotografien & kurze Texte bzw. Erläuterungen
Sprache: Deutsch
Interviews werden separat auf der Website www.fremddesign.de regelmäßig zu lesen sein