GLOOM
Für die meisten Nutzer ist Google das Tor ins Internet – in Wahrheit bieten Suchmaschinen aber bestenfalls den Blick durch ein winziges Fenster. Dahinter soll es sich befinden, das Darknet, glaubt man den Mythen und Legenden, die sich darum ranken.
Im Videospiel Gloom begibt sich der Spieler auf eine Expedition ins Darknet. Zeit und Raum verschwimmen. Um sich hier zu bewegen braucht man Geduld. Das Netzwerk ist langsam. Dennoch ist es stets aktiv. Es ist kein Platz, den man einfach besuchen kann – man muss ein Teil davon werden. Das Darknet entscheidet darüber, welche Bereiche man betreten darf und welche nicht. Spaß und Ernst verschwimmen. Vieles erscheint wie ein fake, von Anderem würde man es gerne glauben. Vieles bleibt verborgen, Anderes wird sichtbar, obwohl man es nicht sehen will.
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Stefan Neubauer hat sich in seiner Bachelorarbeit an der Hochschule in Mainz mit einem wenig bekannten Thema beschäftigt, das uns sehr fasziniert. Wir haben ihm zu seiner Arbeit ein paar Fragen gestellt:
Slanted: Du hast dich in deiner Arbeit mit dem Darknet auseinandergesetzt. Was können wir uns unter dem Darknet vorstellen? Was hat dich daran besonders interessiert?
Stefan Neubauer: Im Prinzip bildet ein Darknet eine Art Netz im Netz. Es baut zwar auf der Technologie des konventionellen Internets auf, um an diesem Netzwerk teilnehmen zu können benötigt man allerdings eine spezielle Software – diese dient zum einen zur Anonymisierung der Nutzer, zum anderen sind die Seiten eines Darknets nicht ohne zusätzliche Software erreichbar. Da diese Seiten nicht über Suchmaschinen gefunden werden können, muss ein Teilnehmer Zugang durch einen bereits aktiven Nutzer erhalten, bzw. muss ihm ein entsprechender Link bekannt sein, um die entsprechende Seite aufrufen zu können.
Ursprünglich wurde die Software für Dissidenten und politisch Verfolgte entwickelt, um in entsprechenden Ländern, vorbei an der staatlichen Überwachung, kommunizieren zu können. Auch bei den Aufständen in Ägypten und Syrien haben solche Darknets eine wichtige Rolle gespielt.
Meine Recherche beschränkte sich allerdings hauptsächlich auf den Missbrauch dieser Technologie, denn mittlerweile sind in solchen Darknets auch Schwarzmärkte für Drogen, Waffen, gefälschte Dokumente oder Hehlerware, sowie auch Foren für Kinder- und sonstige illegale Pornographie zu finden.
Anfangs hatte ich in Bezug auf die Themenwahl eher gemischte Gefühle. Fundierte Literatur zum Thema ist kaum zu finden. Viele Artikel in Magazinen und Zeitungen setzen sich meist sehr einseitig mit der Thematik auseinander und ähneln sich inhaltlich. Oftmals werden Sachverhalte falsch dargestellt oder erscheinen nachlässig recherchiert. Aus diesen Gründen habe ich selbst intensiv im Darknet recherchiert, auch wenn man sich dabei oft am Rande der Legalität bewegt. Trotzdem barg der Themenbereich Darknet für mich, vor allem auch durch seine Aktualität und gesellschaftliche Relevanz, ein großes und spannendes Potential.
Du bist bei deinen Recherchen sicher auf die ein oder andere Kuriosität gestoßen – kannst du uns ein paar Skurrilitäten nennen?
Während der Recherche bin ich auf viele schockierende und skurrile Seiten gestoßen. Gerade auf Seiten, die sich mit Fetischen beschäftigen, gibt es viele merkwürdige Themen. Vieles davon ist meiner Meinung nach aber nicht unbedingt repräsentativ für das Darknet. Für das Meiste gibt es sicherlich auch im konventionellen Internet äquivalente Seiten und Foren, wenn man lange genug danach sucht. Oft waren es eher belanglos scheinende Dinge, die im Gesamtkontext wirklich skurril erscheinen – zum Beispiel wenn Menschen über den Drogen-Schwarzmarkt Silk Road selbstverfasste, individuelle Gedichte gegen einen kleinen Unkostenbeitrag anbieten, das Deep Web Radio, das music to make love spielt, eine von einem Nutzer betriebene Depressions-Hilfe im Silk Road-Forum und die Seite der Darknet Roaster, auf der ein exklusiver Kaffee vetrtieben wird. Im Vergleich zu Drogen-Schwarzmärkten und Kinderpornographie wirken diese Dinge zwar eher unbedeutend – aber sie zeigen auch, welches kreative Potential im Darknet steckt. Es erinnert an das frühe Internet – experimentell und aktiv durch seine Nutzer mitgestaltet.
Du hast deinen Bachelor im Fach Kommunikationsdesign an der Hochschule Mainz gemacht – entstanden ist ein Videospiel (und eine zusätzliche Zeitung). Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Umsetzung? Hat dich Game-Design schon früher interessiert bzw. hattest du dich schon vor deiner Bachelorarbeit auch von der technischen Seite schon damit auseinandergesetzt?
Nach der Recherche war ich mit der ganzen Thematik zunächst einmal überfordert. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich davon ausgegangen, ein Print-Projekt zu realisieren. Allerdings wurde mir schnell klar, das dies nicht das geeignete Medium ist. Die Arbeit sollte andere Aspekte vermitteln, als die geläufige Darstellung in Artikeln oder Büchern zum Thema - keine didaktische Aufarbeitung, ohne moralischen Zeigefinger und keine explizite Zurschaustellung vorgefundener Inhalte.
Bereits während der Recherchen im Darknet ergab sich für mich immer wieder die Assoziation mit einem Videospiel – neue Level zu entdecken, auf unerreichbare Gebiete zu stoßen und mit erlangtem Vertrauen, Links oder Bitcoins neue Ebenen zu erreichen. Das Medium des Videospiels bot für mich genügend Spielraum, um experimentelle Ansätze zu verfolgen und die Möglichkeiten grafische Wirkungen zu erzeugen und beim Spieler entsprechende Reaktionen oder Emotionen hervorzurufen.
Zwar habe ich mich, zumindest als Jugendlicher, auch intensiver mit Videospielen beschäftigt – Game-Design war mir aber bis dato vollkommen fremd. Nach einigen Versuchen erschien mir eine Umsetzung aber dennoch möglich.
Das Thema Print war für mich dennoch nicht ganz abgeschlossen, wodurch im Anschluss noch eine Zeitung zum Spiel entstanden ist. Diese vereinigt einige Texte, Screenshots und Namen der einzelnen Level. Ich sehe die Zeitung als ergänzendes Medium zum Spiel, dennoch verfolgt sie keine didaktischen Ziele, sondern dient zur Unterstreichnung der Medienkritik, die auch im Spiel angedeutet wird. Das Medium der Zeitung, die Symbolik und die martialische Namensgebung der Level und der Titel des Spiels sind als Anspielung auf die Darstellung des Darknets in den Medien zu sehen.
Mit welchen Schwierigkeiten warst du während der Konzeptions- und Fertigungsphase konfrontiert?
Während der Recherche haben mich vor allem die widersprüchlichen Gefühle beeindruckt, die das Darknet vermittelt – dies sollte an den Spieler weitergeben werden. Sich in einem solchen Netzwerk zu bewegen ist unbequem – die Verbindung ist langsam, Strukturen sind kaum vorhanden und die meisten Pfade, denen man folgt, verlaufen irgendwann im Nichts. Ehrfurchtsvoll bewegt man sich durch eine sinnwidrige Welt. Immer wieder stößt man auf Dinge, die man nicht sehen will – aber um tiefer in die Materie einzudringen muss man sie ertragen, getrieben von der Erwartung in den mythischen Dimensionen des Netzes etwas zu finden. Fast manisch folgt man jedem Fingerzeig, auf den man in der Datenödnis stößt, erforscht Ebene für Ebene, deprimiert und euphorisch zugleich. Es sollte also eine mystische und emotionale Erfahrung geschaffen werden.
Zunächst erschien es schwierig, ein Spiel zu erschaffen, das einerseits deprimierend ist, zum anderen aber auch den Spieler animiert, tiefer in die entsprechenden Welten vorzudringen. Ein Spiel das sich nicht zur Aufgbabe macht, den Spieler zu unterhalten, sondern entsprechende – nicht unbedingt angenehme – Emotionen auszulösen. Mittlewerweile denke ich aber, dass das Medium des Videospiels durchaus in der Lage ist, auch ernste Themen aufzugreifen und zu vermittlen.
Die technische Umsetzung verlief dann aber, abgesehen von den üblichen Problemen bei einer Bachelor-Arbeit, ohne größere Probleme. Lediglich mein Rechner befand sich sicherlich oft am Rande seiner Leistungsfähigkeit.
Eine Beta-Version des Spiels ist komplett spielbar. Was erwartet die Spieler? Und denkst du über eine weiterführende Veröffentlichungsform nach?
Die grafische Wirkung des Spiels steht ganz klar im Vordergrund. Auf herkömmliche Spielmechanismen wurde größtenteils verzichtet. So kann der Spieler zum Beispiel keinen Schaden an Objekten im Spiel nehmen. Ein Schadensmodell wurde zwar zuerst im Spiel implementiert, letztendlich aber wieder verworfen. Der Spieler soll gezwungen sein, sich auf die grafische Wirkung des Spiels und die dadurch hervorgehende Stimmung einzulassen. Eine Ablenkung, zum Beispiel durch die Forderung der Geschicklichkeit des Spielers, würde, meiner Meinung nach, das Ziel der Arbeit verfehlen. Zum größten Teil handelt es sich um eine begehbare, sich verändernde Grafik, die vom Spieler erkundet werden kann.
Ohne entsprechendes Hintergrundwissen ist es sicherlich schwierig, das Spiel zu begreifen und sich darauf einzulassen. Aus spielerischen Gesichtspunkten dürfte das Spiel für Gamer auch nur bedingt interessant sein. Aus diesem Grund ist eine Veröffentlichung nicht geplant, zumindest nicht als Download. Ich sehe das Spiel eher im Kontext einer Performance, bei der gespielt werden kann, aber auch die Möglichkeit besteht sich darüber auszutauschen. Möglicherweise könnte ich mir auch eine Veröffentlichung in Verbindung mit der Zeitung vorstellen.
Wie geht es nach deinem Abschluss weiter? Was sind deine Zukunftspläne?
Es war zwar spannend, zum Ende des Studiums noch einmal ein Projekt zu realisieren, das sich nicht in den üblichen Disziplinen eines Kommunikations-Designers bewegt. Dennoch möchte ich mich jetzt wieder auf vertrautes Terrain begeben und mich bestenfalls in einer kleineren Agentur, mit den Schwerpunkten Typographie, Print und Web, verwirklichen.
Vielen Dank und alles Gute!
GLOOM
Konzeption & Umsetzung: Stefan Neubauer
Hochschule Mainz
Betreuung: Prof. Johannes Bergerhausen
Veröffentlichung: n/a
Umfang: 14 Level in 4 Episoden
System: Windows/Mac
Technische Umsetzung: Unreal Engine 4
Zeitung: 375 × 520 mm, 40 Seiten, beinhaltet Screenshots aus dem Spiel und Texte zum Thema