Shape my Language
Die Globalisierung ist eine Herausforderung, auch, wenn es um die Gestaltung von Schriften geht. Mit der Verschiedenheit internationaler Zeichensysteme befasst sich eine typographische Installation, die derzeit im Londoner Design Museum zu sehen ist. Shape my Language heißt das Werk, konzipiert wurde es von Bruno Maag, einem der Köpfe des auf Typedesign spezialisierten Studios Dalton Maag.
Alles, was ich von Shape my Language gehört und gelesen habe, klang vielversprechend. Umso enttäuschter bin ich leider von dem, was ich im Atrium des Design Museums vorfinde...
Nicht von den ausgestellten Glyphen selbst, die formalen Einzelheiten verschiedenster Schriften und teils völlig unbekannter Zeichen sind im Grunde sehr interessant anzusehen. Es ist eher die Art der Präsentation: Gedruckt hat man die Zeichen auf milchig semi-transparente und mittlerweile reichlich zerkratzte Kunststoffkärtchen, wie man sie als Hängelabels an drittklassigen Kleidungsstücken findet. Diese wurden (dann leider oft verkehrtherum) aufgefädelt, und zwar in Quader-Formation, recht gedrängt und auf einer Grundfläche von etwa einem Quadratmeter, sich dafür aber vom Erdgeschoss bis ins oberste Stockwerk erstreckend. Als Mobilé: ziemlich imposant. Für diejenigen, die sich tatsächlich die Zeichen anschauen wollen: zielich unpraktisch. Klar, man kann die Treppe hochgehen; Kärtchen verdrehen; versuchen, sie zumindest für einen Augenblick in die richtige Sichtposition zu pusten; oder einfach in das ganze Gehänge hineintreten. - Bleiben trotzdem noch all die Kärtchen, die weiter oben mittig im Quaderinneren hängen. Vielleicht sind da ja auch interessante Zeichen drauf?!? Man weiß es nicht. Und das, obwohl Bruno Maag dem Besucher vor allem die charakteristischen Details und formalen Unterschiede einer möglichst vielfätigen Auswahl an Zeichen nahe bringen möchte - so steht es im Ausstellungsprospekt. Das Riesen-Mobilé erweckt allerdings den Anschein, als ginge es doch eher um die Gesamtwirkung eines ästhetischen Erlebnisses, als um das differentzierte Betrachten typographischer Zeichen.
Dass mich nun auch dieses Erlebnis nicht allzu sehr beeindruckt, liegt vielleicht einfach an mir. Bei Flicker jedenfalls sieht man jede Menge Menschen beglückt durch einen polypropylenernen Buchstabenregen wandeln. Wahrscheinlich war das in Wien, wo die Ausstellung im Sommer letzten Jahres ursprünglich stattgefunden hat. Nach einem Quadratmeter Grundfäche sieht das da jedenfalls nicht aus, da ist das mit dem Umherwandeln nämlich so eine Sache. Als ich trotzdem, angespornt von jenen beglückt Wandelnden auf den Flicker Photos, einen Schritt zwischen die baumelnden Plastikplättchen mache, erlebe ich nicht unbedingt Typographie, sondern eher ein seltsam klaustrophobisches Unbehagen. Als stünde ich, ohne erkennbaren Grund und sichtlich irritiert, in einer fremden, semitransparenten Duschkabine - und das auch noch mitten im Atrium des Designmuseums.
Interessanter ist eigentlich die Hintergrundgeschichte. Nicht die meiner scheinbaren Paranoia vor fremden, semitransparenten Duschkabinen, sondern die der Ausstellung. Die setzt sich nämlich im Grunde mit der selben Thematik auseinander, wie das sogenannte Ubuntu Font Projekt. Dessen ultimatives Ziel ist es, irgendwann jede Sprache der Welt schreiben zu können, und zwar in ein und der selben Schrift. Bei der Erweiterung des Zeichensatzes wird auf Open Source gesetzt. Deshalb auch der Name Ubuntu, ursprünglich Bezeichnung einer afrikanischen Lebensphilosophie, die vor allem auf einem ausgeprägten Gemeinschaftssinn beruht; auf dem Bewusstsein, selbst Teil eines kooperativen Ganzen zu sein.
Ins Leben gerufen wurde das Ubuntu Font Projekt von Canonical, dem Unternehmen das auch das gleichnamige Linux Betriebssystem leitet, für das die Schrift seit der neuesten Version defaultmäßig zum Einsatz kommt. Als typographische Experten holte man Bruno Maag und Kollegen hinzu.
Im Rahmen von Shape my Language wurden ein paar Zeichen des Ubuntu Fonts an die Innenwände des Design Museums gebracht, begleitet von einer (für Veranstaltungen aller Art mittlerweile schrecklich obligatorisch scheinenden) interaktiven Projektionseinheit, die beharrlich mehr oder weniger kompetente Userkommentare twittert. Außerdem liegt ein faltbares Poster aus, auf dem ein Teil des ständig wachsenden Charactersets abgebildet ist.
Ubuntus Formen sind recht offensichtlich auf gute Bildschirmlesbarkeit angelegt, stilistisch wirkt der Font demokratisch-kollegial, sehr sehr corporate. Individueller Charakter bleibt bei so viel Ubuntu-Mentalität scheinbar etwas auf der Strecke. Ich finde das schade, aber über Geschmack läßt sich ja streiten.
Über die Definition von Open Source im übrigen auch. Während Ubuntus PR-Abteilung den “collaborative spirit” des “most ambitious” Schriftprojekts “ever undertaken” bewirbt, ertönt auch so manch kritische Stimme: Zu Unrecht schreibe man sich die Prinzipien der Open Source Technologie auf die viel geschwungenen Fahnen, schließlich widerspreche mit seiner Members-Only-Mentalität deren grundlegender Idee. Ganz abgesehen davon müsse sich ja wohl erst noch zeigen, ob Ubuntu tatsächlich “more ambitious” sei als Font Projekte anderer Open Source Systeme – zum Beispiel Debians “Font Task Force” oder Feodoras “Fonts Special Interest Group”...
Bearbeitet werden kann der Ubuntu Font tatsächlich nur von angemeldeten und durch ein spezielles Kommitee überprüfte Spezialisten, im Betastadium konnte sie überhaupt nur von diesen angesehen werden. So richtig “open” ist das Ganze also wirklich nicht. Nicht so “open” jedenfalls, wie es die Entwickung von “Libre Fonts” laut Dave Crossland von der typographischen Open Source Plattform Open Font Library, eigentlich sein sollte: “fully public from the start".
Nun unterscheiden sich das Ubuntu Font Projektund die Open Font Library aber auch im einigen Punkten. Unter anderem auch dadurch, dass es bei Ubuntu nicht nur um kollaborative Schrift Entwicklung, sondern auch um das Herantasten an einen vielleicht irgendwann weltweit funktionierenden Zeichensatz geht, um ein kollaboratives Großprojekt. “Created by a global community of open-source experts, the project reflects the meaning of the word Ubuntu: “I am what I am because of who we all are”. Klingt doch schonmal alles sehr schön... Und vielleicht klappt das mit der Globalisierung typographisch ja am Ende sogar viel problemloser, als sonst so auf der Welt. Wer weiß.
Shape my Language
Design Museum London
28. Januar – 28. Februar