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Trust in Taste

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Wie stellt man beim Kochen fest, ob das Fleisch gar ist? Wenn man nicht sehen kann? Darüber haben sich die meisten Sehenden noch nie Gedanken gemacht. Genauso hat sich bisher kaum jemand gefragt, wie man ein Buch für Blinde gestaltet. Geschweige denn ein Buch für das gemeinsame Kochen von Blinden und Sehenden. – Die Macher von “Trust in Taste” sind vollkommen neue Wege gegangen. Und das Ergebnis ist sehr beeindruckend.

In Deutschland gibt es über eine Million blinde und sehbehinderte Menschen. Für sie und ihre Familien, Freunde und Kollegen ist “Trust in Taste” entstanden. Das Kochbuch für Blinde und Sehende wurde vom Berliner Sternekoch Michael Hoffmann in enger Zusammenarbeit mit Betroffenen entwickelt und von Verena Gerlach gestaltet. Zusammen mit dem  Justina Verlag haben sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen.

Der Anspruch ist sehr hoch: Es mussten viele neue Wege gegangen werden – auch, und vor allem, in der Gestaltung und Produktion des Buchs. Verena Gerlach hat sich lange und intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt, bevor sie die Gestaltung in Angriff nahm. Auf keinem Fall sollten gestalterische Elemente der Blindenorientierung als Gestaltungsansatz für die Sehenden genutzt werden; das hätte bloß verspielte Dekoration auf Kosten der Behinderung bedeutet. Das Buch sollte lösungsorientiert und schön daherkommen. Und das ist auf jeden Fall gelungen!

Um einen kleinen Einblick zu geben, hat uns Verena Gerlach ein paar Fragen zum Hintergrund ihrer Gestaltung beantwortet.

Wie bist du an die Gestaltung herangegangen?

Das Design für dieses Buch war eine große Herausforderung. Nach vielen Wochen des Nachdenkens und Diskutierens mit Justina Hoegerl (der Herausgeberin) über die Herangehensweise, aber auch die gestalterischen und verarbeitungstechnischen Besonderheiten solch eines Buchs (Material, Bindung, etc.), einem Besuch in der Deutschen Zentralbilblithek für Blinde zu Leipzig, DZB, (außerdem Braille Druckerei), diversen Tests und Entwürfen, entschieden wir uns dafür, die visuelle Gestaltung des Buchs so einfach wie möglich zu halten, ohne dabei die nötige Hochwertigkeit und einen gewissen Glamour, die die Rezepte des Spitzenkochs Michael Hoffman erforderten, einzubüßen.

Was hast du bei deiner Recherche über die allgemeine Gestaltung von Büchern für Blinde erfahren?

Generell habe ich festgestellt, dass Bücher, die für Blinde (und Sehbehinderte) und deren Angehörige gestaltet sind, meist nicht sehr ansprechend für die Sehenden sind. Pragmatismus für diejenigen, die die Gestaltung eh nicht sehen können, okay, aber immerhin geht es vor allem beim Kochen um einen sinnlichen Genuss für beide. Und da sind bloße Übersetzungen in die jeweilige Schrift des anderen natürlich nicht besonders ansprechend. Besonders negativ ist mir diese Un-Gestaltung bei Kinderbüchern aufgefallen, die von den meist sehenden Eltern am Anfang ihren Kindern vorgelesen werden, und diesen oft keine visuelle Freude machen. Ich finde es wichtig, dass für alle Leser diese Freude am Lesen gewahrt sein sollte, bevor diese gemeinsame Aktivität eher vermieden würde.

Was denkst du verhindert eine gute/bessere Gestaltung?

Leider sind es vor allem die finanziellen Mittel, die eine gute Gestaltung dieser Bücher verhindern, da die Kaufkraft der eher kleinen Zielgruppe recht überschaubar ist, und diese Bücher für Sponsoren leider kaum interessant sind. »Trust in Taste« ist schon sehr hoch im Preis angesetzt (125 €) müsste aber eigentlich das Doppelte kosten, um sich überhaupt zu tragen. Es ist allen enthusiastischen Beteiligten (und hier sogar ein paar Sponsoren) zu verdanken, dass das Projekt überhaupt umgesetzt werden konnte.

Zur Gestaltung

In der Gestaltung des Buchs gibt es nur zwei Zitate aus der Blinden Navigation: Das Gelb (bedingt durch den größtmöglichen Helligkeitskontrast zur Schrift und die Assoziation mit frischen Lebensmitteln), das auch im Blindenzeichen verwendet wird, und die schwarzen Punkte der Schwarzschrift-Paginierung, die sehr reduziert die Form der Braillepunkte aufnimmt. Alle gebrailleten Seiten des Kochbuchs sind abwischbar (also laminiert ), damit eventuelle Zutatenspritzer nicht die Braillepunkte verkleben und so nicht mehr fühlbar machen. 

Wegen der beidseitigen Brailleprägung, die per Handanlage in der DZB gedruckt wurde, mussten die Seiten alle als Einzelseiten verarbeitet werden. Daher sind alle Seiten mit Schwarzschrift durchpaginiert, um den, der Brailleschrift nicht Mächtigen, Verarbeitern eine Übersicht zu ermöglichen. Es gibt nämlich auch Bild- oder Farbseiten ohne Text, die erst nach dem Druck und der Cellophanierung bebraillet wurden.

Anders als beim Grundlinienregister der Schwarzschrift, sind die Zeilen der Brailleschrift auf den jeweiligen Seiten zueinander so versetzt, dass sie sich nicht gegenseitig stören. Die Blinden können die Zeilen der Rückseiten also nicht auf der »falschen« Seite fühlen.

Eine extra für dieses Buch angefertigte Spiralbindung verhindert das Zuschlagen der Seiten. Es gibt auch ein Vorsatzpapier für Blinde und Sehende gleichermaßen: Eine vorgehängte Seite, die mit einem »sinnlosen« Braillemuster geprägt ist und den Anfang eines Buchs kennzeichnet.

Für “Trust in Taste” wurde die Blindenkurzschrift verwendet, die allerdings immer noch 3 bis 4 Mal mehr Platz benötigt als Schwarzschrift. Brailleschrift wird immer nur in einer gleichbleibenden Punktgröße eingesetzt, die das optimale Fühlen der Punkte ermöglicht. Als Schwarzschrift hat Verena Gerlach ihre sehr gut lesbaren FF Karbid Pro Text und Slab eingesetzt. In den Überschriften hat sie die Swashes der FF Chambers Sans hinzugefügt.

Die Texte sind in verhältnismäßig großen Schriftgraden gehalten, um es auch bedingt Sehbehinderten zu ermöglichen, diese lesen zu können. Deshalb auch die Farbwahl: Weiß-Schwarz oder Gelb-Schwarz; die größtmöglichen Helligkeitskontraste, die für eine gute Lesbarkeit extrem wichtig sind. Umbrüche wurden weitgehend vermieden oder erfolgten nur nach Sinnschritten. Deshalb entstand ein deutliche Flattersatz. Allerdings ist das Kochbuch bewusst kein Buch für Sehbehinderte, betont Verena Gerlach. Dieser Kompromiss hätte bedeutet, die für Sehende ansprechende visuelle Gestaltung komplett außer Acht lassen zum müssen, was nicht im Sinn des Konzepts war.

Durch die Brailleprägung wurde das Volumen des Buchs unerwartet groß, weshalb es in zwei Bände aufgeteilt werden musste. Ein Schuber und die aufrechte Lagerung schützen die Braillepunkte vor dem »Zerquetschen« durch das eigene Papiergewicht. So wie Schwarzschrift vergilben könnte, könnte der Text der Blinden unleserlich werden, wenn die Erhabenheit der Brailleschrift zerstört wird. Statt der sinnlichen Fotos gibt es für die Blinden kurze Songs zu den jeweiligen Rezepten und Rubriken. Diese befinden sich auf der beigefügten CD, die auch anstelle des Buchs genutzt werden kann. Da es vor allem um das gemeinsame Kochen von Blinden und Sehenden geht, ist hierfür das Buch besser geeignet, wenn man sich beim Kochvergnügen unterhalten will. Die CD ist eher für das Einzelkochen gedacht. 

Trust in Taste
Kochbuch für Blinde und Sehende

Gestaltung: Verena Gerlach 
Fotografie: Janine Guldener 
Autor: Michael Hoffmann
Herausgeberin: Justina Hoegerl
Verlag: Justina-Verlag 
Veröffentlichung: Herbst 2011
Umfang: 264 Seiten, 170 Fotografien
Format: 24 x 30 cm
Bindung: Pappband mit Wire-O-Bindung in zwei Bänden im Schuber
Besonderheiten: alle Inhalte in Schwarzschrift und in Blindenkurzschrift; alle Seiten zellophaniert und abwaschbar
Erweiterung: alle Inhalte auf CD im MP3-Format mit Koch-Musikstücken
ISBN: 978-3-9812602-4-3

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