Überall und Nirgendwo — Roma-Realität ist ein seltsamer Ort
»Roma-Realität ist ein seltsamer Ort, er befindet sich überall und nirgendwo. Man findet die Roma am Rande der Gesellschaft, am Rande der Geschichte. […] Die Mehrheitsgesellschaft zeigt kaum Interesse, was die Roma–Kulturgeschichte und -Tradition betrifft. Fast alles, was über uns Roma erzählt wurde ist voller Vorurteile und Unkenntnis.« so Andrzej Wisniewski in seinem Beitrag zu Überall und Nirgendwo.
Frieder Oelze beschäftigte sich in seiner Bachelorthesis »Überall und Nirgendwo — Roma-Realität ist ein seltsamer Ort« an der Bauhaus Universität Weimar mit dem Bild und der Geschichte der Roma. Entstanden ist eine Publikation, die eine seltene Innenansicht des Lebens der Roma durch eine Sammlung von Gesprächen und Bildern gibt.
In der Romantik waren sie die Tagediebe, die Freien und Abenteurer, die in Unschuld die Natur genossen. Heute sind sie meist nur die Fremden, die stören. Das Volk der Roma ist tief in der Geschichte Europas verwurzelt und entwurzelt zugleich, aus- und doch eingeschlossen. Seit ihrer Einwanderung nach Europa im 14. Jahrhundert sind sie einem tiefen Misstrauen und einer zunehmenden Verelendung ausgesetzt. Roma haben keinen Ort. Sie sind die Fahrenden, die Ungeliebten, kulturell und geographisch Heimatlose. Ein verlorenes Volk. Sie verkörperten das Fremde, das Andere schlechthin.
Wir haben Frieder ein paar Fragen zu seiner Arbeit gestellt:
Warum hast Du Dich für das Thema entschieden? Was waren die Beweggründe, was interessiert Dich besonders?
Seit einem zufälligen Gespräch mit einem guten Freund ließ mich das Thema der Volksgruppen der Roma in Europa nicht mehr los. »Wir wissen fast nichts über sie, nicht einmal wie wir sie nennen sollen«, sagt Max Moor (ttt) und trifft damit den Kern der Sache. Das Bild der Roma und ihrer Geschichte wird
seit Jahrhunderten nicht von ihnen selbst, sondern von uns geprägt. Es ist ein Bild, das wir uns gemacht haben. Als Gestalter haben wir die Möglichkeit auf Themen aufmerksam zu machen, die von der Gesellschaft gerne vergessen werden, weil eine Auseinandersetzung mit ihnen anstrengt. Die Volksgruppen der Roma sind ein solches Thema, wahnsinnig faszinierend, ein unendlich weites Feld.
Wie sah der Arbeitsablauf von der Idee bis zur fertigen Publikation aus?
Nachdem ich für meine Bachelorthesis die Konstruktion des Zigeunerbildes in der Kunst seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert untersucht hatte, begann ich offen und in alle Richtungen nach Meinungen, Ideen und Positionen zu suchen. Ich traf den Literaturwissenschaftler Prof. Klaus-Michael Bogdal und aß mit Roma-Familien in Asylbewerberheimen zu Abend. Ich begegnete warmherzigen, liebevollen Menschen, die diskriminiert werden, nur weil sie Roma sind. Das kann man sich erst dann vorstellen, wenn man es erlebt hat. Kern des Buches ist die Lebensgeschichte von Andrzej Wisniewski, der mit seiner Erzählung eine seltene Innenansicht gewährt.
Wie haben die Roma auf Dich reagiert?
Die Reaktionen waren ganz unterschiedlich. Immer wurde ich gefragt warum ein junger Designstudent aus Weimar ein Buch über Roma macht. In Deutschland leben vor allem wohlsituierte Sinti leben, die voll in die Gesellschaft integriert sind und sehr reflektiert über die Situation und Probleme der Roma nachdenken. Hier war es einfach einen Zugang zu finden und Gespräche zu führen. In Paris haben die Roma andere Sorgen und große Angst vor den reichen Ausländern und ihren Kameras. Es war schwer zu erklären, dass wir ›die Guten‹ sind. Am engsten war der Kontakt zu einer Familie aus Serbien, die in Jena auf die Bewilligung ihres Asylantrages warten. Trotzdem sie kaum Geld haben, wurde ich immer wieder zum Essen eingeladen, das war sehr bewegend.
Welche Erkenntnisse ziehst du aus der Arbeit? Ein Résumé für unsere Leser?
Ich bin nach wie vor ein Laie, ein absoluter Anfänger. Ich denke wir müssen den Roma Zeit und eine echte Chance geben. Viele Ressentiments resultieren aus der bitteren Armut und der fortwährenden Ausgrenzung. Wenn das Sammeln von Müll die einzige Einnahmequelle ist, die wir ihnen zugestehen, müssen wir damit leben, dass ihre Häuser vermüllt sind. Bildung ist gewiss sehr wichtig, aber kein Allheilmittel. In Hamburg gibt das Projekt der Kulturdolmetscher, die Kindern in der Schule die deutsche Kultur erklären und den Lehrern die Kultur der Roma. Das ist ein guter Ansatz. Wir müssen die Roma und ihre Traditionen ebenso verstehen wollen, wie sie beginnen sollten die europäische Kultur zu verstehen.
Beide Seiten haben große Vorbehalte, dieser Kreis muss durchbrochen werden. Zum Beispiel indem man beginnt naive Fragen zu stellen, so wie ich das gemacht habe.
Überall und Nirgendwo
Roma-Realität ist ein seltsamer Ort
Gestaltung: Frieder Oelze
Herausgeber: Frieder Oelze, Anselm Oelze (Hrsg.)
Betreuung: Prof. Markus Weisbeck (Bauhaus-Universität Weimar), Till Wiedeck (HelloMe)
Veröffentlichung: 25.10.2013
Umfang: 160 Seiten
Format: 12,5 cm x 19,5 cm
Sprache: Deutsch, Englisch
Ausführung: Fadenbindung, Papierwechsel: Geese EOS Volumenpapier & Recyclingpapier, in Diplomatenkarton (gehämmert) eingeklebt
Preis: € 14,90