VAGO
Sebastian Kohtz hat an der Ruhrakademie in Schwerte Kommunikationsdesign studiert und stellt uns nun seine Diplomarbeit vor. In dieser setzt er sich mit der Kommunikation und den zugehörigen Zeichensystemen innerhalb der Mafia um 1900 auseinander.
Pressetext:
Nichts Genaues weiß man nicht, wenn über das Grundmuster des Mythos Mafia gesprochen wird. Die Mehrdeutigkeit des Begriffs Mafia bietet dem »gesunden Menschenverstand« hinreichend Nährboden für Spekulationen. Auf diesem Humus der Mutmaßungen pflanzt die Bewusstseinsindustrie ihre moralischen Gesetze. Deshalb darf die Frage erlaubt sein, ob es in den stilisierten Vortragskünsten der Bewusstseinsindustrie tatsächlich um die Klarsicht auf die klandestine Verbrechergesellschaft geht. Mit gebotener Skepsis nähert sich Sebastian Kohtz dem Mythos Mafia in der grafischen Technik der inszenierten Typographie. Dazu verwendet er chiffrierte Kassiber vom Anfang des letzten Jahrhunderts. Wenngleich die geheimen Schriftstücke von bestechender Einfachheit sind, haben sie zur Festigung des Mythos Mafia beigetragen.
Bei seinen Grabungen am Mythos Mafia greift Sebastian Kohtz auf die aus heutiger Sicht scheinbar simpel chiffrierten Zeichensysteme aus den 1920er Jahren zurück, mit denen die sizilianische Geheimgesellschaft untereinander zu kommunizieren pflegte. Er untersucht in Anlehnung an den Semiotiker Roland Barthes die »Objektsprache«, derer sich die Mafiosi bedienten, um ein eigenes Informationssystem zu errichten. Dazu verwendeten die sizilianischen Mafiosi bäuerliche Begriffe, Nutztiernamen oder Dominosteine zur Verabredung an bestimmten Treffpunkten. Später hat Sebastian Kohtz recherchiert nutzten sie zum Kryptographieren ihrer Kassiber die (abhörsichere) Schreibmaschine, verzichten auf elektronische Kommunikationsmittel. An inhaftierte Gefangene wendeten sich Mafiosi über einen Piratensender. So kann eine bestimmte Textzeile eines Liedes eine versteckte Botschaft des Don enthalten. Auf den praktizierten Lebensstil bezogen lautet die Formel: reich denken - arm kleiden. Dieser Lebenstil steht konträr zu dem Bild, das Coppolas in der Mafia-Triologie »Der Pate« vermittelt. Sebastian Kohtz Ausgangsmaterial sind journalistisch recherchierte Texte von Dagobert Lindlau und John Dickie. In seiner Abschlussarbeit in Buchform fügt er den Berichten mittels inszenierter Typographie eine sinnlich erfahrbare Ebene hinzu, die von den Mafiosi angewandte Verschlüsselungstechniken für den Leser erfahrbar machen. Es geht ihm nicht um eine lückenlos dokumentarische oder wissenschaftliche Darstellung, vielmehr um die Gestaltung des Mediums Buch, die eine rein lineare Erzählstruktur aufbricht und zum neugierigen Forschen und spielerischem Umgang animiert. »Der Leser tritt in einen Dialog mit dem Medium«, sagt Sebastian Kohtz. »Dass er danach tatsächlich mehr über die Geheimnisse dieser Parallelgesellschaft und die Kunst der Chiffrierung erfahren hat, möchte ich nicht ausschließen.«
Slanted Interview
3 Antworten auf folgende Fragen:
1) Deine Arbeit handelt von der Mafia. Du hast dich inhaltlich auf die Texte der Autoren Dagobert Lindlau und John Dickie bezogen. Warum genau diese beiden Autoren und hast du selbst auch Recherche im Land der Pizza und Pasta betrieben?
Ich selbst habe nicht in Italien recherchiert, allerding habe ich ein paar chiffrierungarten der Mafia um 1900 gefunden und umgesetzt. Beispiel: die Dominosteine im Buch sind eine Form der Verschlüsselung, bei der die Punkte auf den Steinen für Buchstaben im Alphabet stehen. Oft wurden auch Wörter gegen andere ausgetauscht, sodass ein Wirrer Text entstand, der nur mit einem »Codewort« zu verstehen war oder man kannte die Bedeutung der Wörter.
Dagobert Lindlau und John Dickie sind zwei Autoren, die Weit zurück in der Geschichte der Mafia recherchiert haben und viel über den Anfang der Mafia geschrieben haben. Das hatte mich am meisten interessiert. In dieser Zeit spielt das Buch, deshalb habe ich die beiden Autoren ausgewählt.
2) Warum hast du dich für Codierungen im Buch entschieden und welche Rolle spielen sie in Bezug auf den Inhalt?
Die Codierungen gehörten von Anfang an zu meinem Konzept. Ich wollte das Buch so Interessant und Interaktiv wie möglich gestalten und da habe ich mich für die Kommunikation innerhalb der Mafia um 1900 entschieden. Es gibt Texte, bei denen die grafische Umsetzung der chiffrierung 1:1 den Text widerspiegelt, es gibt aber auch Texte, bei denen die Chiffrierung als Teil des Konzepts funktioniert und nicht direkt mit dem Text zu tun hat.
3) Du schreibst, dass die Schreibmaschine gestalterisch ein interessantes Mittel ist, da man z.B. immer mit einem Schriftschnitt arbeiten muss. Welche Probleme oder welche gestalterischen Lösungen haben sich daraus ergeben?
Da die Schreibmaschine nur eine dicktengleiche Schrift herstellen kann, muss man sich in einem bestimmten Raster bewegen. Dies macht verschiedene Satzarten wie den Flattersatz einfach, ist aber schwieriger einzusetzen beim Formsatz. Interessanterweise konnte ich die Schreibmaschine hervorragend für eine Verschlüsselungstechnik einsetzten, die Vigenere-Verschlüsselung genannt wird. Hierbei kommt es darauf an, dass man sich in eben diesem Raster bewegt, dass die Schreibmaschine von ganz allein erstellt. Da ich die Texte einzeln von Hand abgetippt habe, wird der aufmerksame Leser erkennen, dass kein Buchstabe wie der andere aussieht, was mir bei solch einer Arbeit natürlich sehr wichtig ist. Zudem habe ich mit einigen Typografen festgestellt, dass die Schreibmaschinen-Schrift als Lesetext sogar angenehm funktioniert.
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