ZWIEBELFISCH – Magazin für Gestaltung
Der neue ZWIEBELFISCH ist da! Das bundesweite Hochschulmagazin der Freien Hochschule für Grafik-Design & Bildende Kunst e.V. Freiburg, mit Anzeigen für Dinge, die man nicht kaufen kann. Ausgabe 2006 - aktuell zu Culture Jamming, der Streitschrift von Kalle Lasn in Kooperation mit orange-press.
Texte in Deutsch und Englisch, 80 Seiten Farbe und ein Bleisatzabzug, 22 x 28 cm, 10 Euro.
Der ZWIEBELFISCH ist ein Non-Profit-Projekt. Die Druckkosten werden erwirtschaftet über Hochschulpartys, Sponsoren und den Verkauf. Unterstützen Sie den ZWIEBELFISCH: Einfach bestellen über safemail('info','koppmedien.de') oder im Buchhandel: ISBN 3-92 80 13-36-x.
ZWIEBELFISCH-Flyer 1
ZWIEBELFISCH-Editorial:
Kalle Lasn erwischte es auf dem Parkplatz eines Supermarktes. Als er einen Vierteldollar in den Einkaufswagen stecken sollte, um in einem Laden einzukaufen, den er nicht mochte, der ungesunde Produkte verkaufte und bei dem er auch noch an der Kasse Schlange hätte stehen müssen, da brannte bei ihm die Sicherung durch. Er steckte seinen Vierteldollar wieder ein, ›jammte‹ stattdessen eine viel zu große Münze in den Schlitz des Wagens und ging zum kleinen Gemüseladen an der Ecke. Er erlebte das, was die Situationisten ein Détournement nannten, einen schrillen Perspektivenwechsel im Alltag.
»Unsere Empfindungen, unsere Persönlichkeit und unsere innersten Werte werden von Medien und kulturellen Mächten belagert, die so komplex sind, dass wir sie nicht dekodieren können. Unausgesetzte Produktbotschaften haben sich in die Textur unserer Existenz eingewoben.« Sagt Lasn.
Da hilft nur eines - Rebellion. Culture Jamming. Die subversive kulturelle Praxis, die sich gegen die Inbesitznahme öffentlicher Räume durch Industrie und Kommerz richtet. Getragen von Medienaktivisten, von »avantgardistischen Pionieren der bedeutendsten sozialen Bewegung der kommenden zwanzig Jahre«. Culture Jamming sieht sich in einem revolutionären Kontinuum mit Punks und Hippies, Situationisten und Dadaisten, Martin Luther King und Mahatma Ghandi. »Culture Jamming« heißt auch das Buch von Kalle Lasn, Werbefachmann und Dokumentarfilmer, Begründer der Adbuster Media Foundation in Vancouver und Herausgeber des ADBUSTER-Magazins.
Unterstützt wird Kalle Lasn von dem kanadischen Medienwissenschaftler Matthew Soar, der sich mit der slowenischen Journalistin Barbara Predan über die Politik des Grafik-Designs, über Logos und natürlich über Culture Jamming unterhält. Sie erörtern beispielsweise die Frage, ob eine Welt ohne Marken wie eine Welt der alten Sowjetunion wäre (The Economist), in der die Wahl der Konsumenten eine geringe Rolle spielte… Als würde sich Demokratie dadurch auszeichnen, dass Menschen Zugang zu 25 verschiedenen Zahnpastamarken haben.
Um Lasns Mission - die Rückeroberung der Zeichen - weiter in die Welt zu tragen, hat der Verlag orange-press den ZWIEBELFISCH-Macherinnen und -Machern Texte aus Kalle Lasns Buch zur Verfügung gestellt. Die ZWIEBELFISCH-Redaktion - Studentinnen und Studenten der Freien Hochschule für Grafik-Design & Bildende Kunst e.V. Freiburg - brachte Culture Jamming in Magazinform. Mit dem Anliegen, Lasns Détournement einer jüngeren Zielgruppe zu erschließen.
Diesmal mussten Werbeanzeigen ins Blatt - selbstgestaltete versteht sich. Ganz im Adbusterstil nahmen sich angehende DesignerInnen Themen vor wie: »Mut zur Lücke«, »Forever Young«, »Auch Killer brauchen Liebe!« oder »New York 2105«.
Keine Kritik ohne Kritik: Vermarktet sich das Culture Jamming der Adbusterbewegung nicht genauso, wie Markenwerbung eben funktioniert? Diese Frage beleuchten Yasmin Khan aus Los Angeles und Ania Mauruschat aus München von der Zündfunk-Redaktion.
Außerdem äußern sich bekannte und weniger bekannte DesignerInnen zu einem Statement von Albert Einstein und stellen sich die Frage, ob sie jemals einen Auftrag wegen moralischer Bedenken abgelehnt haben.
Gesetzt wurde diese Ausgabe in den neuen Schriften Textra und SabonNext, gefördert von der Linotype Library. An dieser Stelle herzlichen Dank allen, die den ZWIEBELFISCH-Adbuster unterstützt haben.
ZWIEBELFISCH-Flyer 1
ZWIEBELFISCH-Doppelseiten:
ZWIEBELFISCH-Pressestimme:
Das Nachfragen anheizen
Das Zwiebelfisch-Magazin untersucht in seiner neuesten Ausgabe den Zusammenhang von Haltung und Gestaltung
Von Dietrich Roeschmann
»Werbung ist das am weitesten verbreitete und stärkste aller mentalen Umweltgifte«, sagt Kalle Lasn, 59, Begründer der legendären Adbusters Media Foundation und des nicht weniger legendären Anti-Design-Magazins »Adbuster«. Lange Jahre war der estnische Kanadier selbst im Werbebusiness tätig, verdiente nach eigenen Angaben »ein Vermögen« - bis er dann ein paar Bücher des französischen Situationisten Guy Debord in die Hand bekam und zu grübeln begann.
Vor knapp 20 Jahren wechselte Lasn schließlich die Seiten, um sein Talent ganz in den Dienst seiner eigenen Botschaft zu stellen: Bust the advertisement! Zerschlagt die Werbung! Mit ein paar Mitstreitern begann er Anzeigenkampagnen zu lancieren, die die visuelle Rhetorik des Werbe-Mainstreams aufgriffen, aber in die entgegengesetzte Richtung zielten. Sie sollten nicht die Nachfrage anheizen, sondern das Nachfragen: Wieviel verdienen die Kinder doch gleich, die in Indien diese schönen Nike-Turnschuhe zusammennähen? Und wie lange müsste einer dieser Bauern in Argentinien arbeiten, um sich einen BigMäc leisten zu können, für den er seine Rinder zu Dumpingpreisen hergegeben hat? Überhaupt: Was ist eigentlich ein Produkt? Ist es ein Auto? Ein Fernseher? Oder sind Sie selbst eines: käufliches Resultat der Arbeit von Bedürfnisentwicklern aller Art? Gute Frage.
Das dachten sich jetzt auch 15 Studierende, die an der Freien Hochschule für Grafik-Design und Bildende Kunst in Freiburg genau jenes Handwerk lernen, das ohne Unterlass die visuellen Oberflächen für rund 55.000 Marken in Deutschland entwickelt und der hiesigen Werbebranche im vergangenen Jahr zu einem satten Umsatz von fast 30 Milliarden Euro verhalf.
Zusammen mit ihrem Dozenten Wolfgang Blüggel überlegten sie, wie sich dieser Konflikt zwischen Ökonomie und Moral mit den Mitteln der Gestaltung thematisieren lasse - und beschlossen, der Frage gleich eine ganze Nummer des hochschuleigenen Design-Magazins ZWIEBELFISCH zu widmen. Dass zeitgleich zu dieser Idee die deutsche Übersetzung von Kalle Lasns Anti-Design-Manifest »Culture Jamming« im Freiburger Verlag orange press erschien, kann man nur als glückliche Fügung bezeichnen. Siebzehn Kapitel und Auszüge des Buches stellte der prominente Medienaktivist und sein deutscher Verlag den Studierenden zur freien Verfügung.
In mehrmonatiger Arbeit zauberten sie daraus nicht nur ein grafisch enorm frisiertes 80-Seiten-Update der textlastigen Originalfassung, sondern erprobten die von Lasn empfohlene »Rückeroberung der Zeichen« auch gleich selbst bei der Gestaltung von mehreren »anti-commercials«. Vor allem in diesen Formaten wird deutlich, welche Anziehungskraft Lasns Subversion bis heute auf junge Designer hat - und welche Inspiration von ihr ausgeht. Eines der überzeugendsten dieser Inserate zeigt einen Parfumflakon in Calvin-Klein-Design. Auf dem Boden der leeren Flasche sitzt ein Obdachloser und starrt abwesend ins Leere. »Homeless«, heißt der Duft, »the new fragrance by hartz IV«. So geht das: Der Zielgruppe der markenbewussten Gutverdiener in ihrer eigenen Sprache die Kollateralschäden der sozialen Ignoranz präsentieren, die sie leben.
Wie sehr sich Haltung und Gestaltung auch im Arbeitsalltag bedingen, zeigt eine Umfrage unter 20 internationalen Grafikdesignern, deren Antworten Lasns Texte im ZWIEBELFISCH flankieren. »Haben Sie jemals einen Auftrag wegen moralischer Bedenken abgelehnt?«, lautet eine der Fragen. Die überwiegende Mehrheit verneint - nicht, weil diese Designer keine Moral kennen würden, sondern weil ihre visuelle Sprache den Ausverkauf der Zeichen von vorneherein verbindlich zurückweist. Auch für die Studierenden der Freien Hochschule war das eine zentrale Herausforderung. Der neue ZWIEBELFISCH zeigt, dass sie sie ernst genommen haben.
- zuerst erschienen in: Badische Zeitung, 14. März 2006
ZWIEBELFISCH-Flyer:
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ZWIEBELFISCH - watch out for the bones - let's jam!